Erstellt am Mai 2025
Das Kind ist kaputt! Repariert es!
Aggression bei Kindern wird in unserer Gesellschaft oft missverstanden – schnell verurteilt, statt gehört und wirklich verstanden zu werden. Doch Aggression ist keine Bosheit und kein Zeichen von Fehlverhalten. Sie ist eine Sprache. Eine Sprache, die Kinder sprechen, wenn ihnen die Worte fehlen. Leider verstehen wir Erwachsenen diese Sprache nur selten – oder wir deuten sie falsch.
Anstatt hinzuhören, versuchen wir, Aggression zum Schweigen zu bringen – als wäre sie ein Defekt, den man beheben müsste. Dabei übersehen wir: Aggression ist ein ganz natürlicher Teil der kindlichen Entwicklung. Sie ist ein Ausdruck von Bedürfnis, von Überforderung, von Frustration – und von Lebendigkeit.
Wir leben in einer Gesellschaft, die lieber Symptome bekämpft, als die Ursachen zu erkennen. Doch was wir nicht an der Wurzel verstehen und heilen, kehrt immer wieder zurück. Die Aufgabe, die Ursachen zu erkennen, liegt bei den Erwachsenen. Doch es tut weh, hinzusehen. Es verlangt Mut, sich einzugestehen: Vielleicht haben wir etwas übersehen. Vielleicht müssen wir etwas verändern.
Viele Erwachsene wünschen sich Verständnis für ihre Vergangenheit – für das, was sie geprägt hat, was wehgetan hat, was sie geformt hat. Sie sind gefangen in ihren eigenen Vorstellungen, Ängsten und alten Glaubenssätzen. Oft halten sie so sehr an ihrer eigenen Sichtweise fest, dass kein Raum für andere Perspektiven bleibt.
Und ja, sie haben eine Vorgeschichte. Aber – wie eine gute Bekannte einmal sagte: „Haben wir nicht alle eine Vorgeschichte?“
Nur wenige sind bereit – oder besser gesagt fähig –, innezuhalten, sich innerlich umzuwenden und mit offenem Blick, aus der Haltung eines reifen, verantwortlichen Erwachsenen, auf das Geschehen zu schauen.
Veränderung bedeutet Arbeit. Es bedeutet, sich selbst zu hinterfragen – und das ist unbequem. Also wählen viele den scheinbar leichteren Weg: Auch wenn sie es nie so sagen würden, behandeln sie das Kind, als wäre es „kaputt“ – als müsse man es reparieren oder zum Schutz der anderen ausgrenzen.
Aber ich frage uns als Gesellschaft: Warum wiegt das Wohl der anderen Kinder mehr als das dieses einen Kindes? Warum zählt sein Leben weniger?
Natürlich brauchen auch andere Kinder Schutz – das ist unbestritten. Doch wahre Sicherheit entsteht nicht durch Ausgrenzung, sondern durch Verstehen, durch Beziehung und durch den Mut, genauer hinzusehen.
Dieses Kind kam – wie alle anderen – voller Vertrauen auf diese Welt. Es will nichts weiter, als gesehen und verstanden werden. Es spricht eine Sprache, die wir nicht einmal mehr zu verstehen versuchen. Und genau dafür machen wir es verantwortlich.
Dabei will es am Ende nur eines: Zu spüren, dass es wertvoll ist.